Eines dieser "Flutkinder" ist Jutta Manneck, die die Nacht vom 16. auf den 17. Februar, als Hamburg von den Fluten heimgesucht wurde, im Alter von 12 Jahren erlebte. Die heute 62-Jährige wohnte mit ihren Eltern Alfons und Getrud sowie ihrer Schwester Ortrun in der Vehringstraße in einem Wohnhaus in Wilhelmsburg. Die Mutter war halbtags in einem "Tante-Emma-Laden" tätig, der Vater verdiente sein Geld mit einem Job in der Norddeutschen Affinerie (heute Aurubis AG). Wenn Manneck von ihren Erlebnissen damals erzählt, laufen die Bilder wie in einem zusammengeschnittenen Film im kurzen Takt hintereinander ab. Sie sagt: "Als die Flut in der Nacht kam, wurden wir durch lautes Geschrei von den Nachbarn geweckt. Ich bin dann mit meiner Schwester sofort an das Fenster gegangen und wir haben eine überschwemmte Vehringstraße gesehen." Doch dem aufmerksamen Mädchen erschlich bereits ein Abend vorher ein seltsames Gefühl. Als sie mit ihrer Freundin nach dem Schwimm-Training in Harburg mit der Straßenbahn die alte Süderelbbrücke passierte, war irgendetwas anderes. "Da haben wir uns schon gewundert, den der Wasserpegel war extrem hoch." Ohne das sie sich etwas groß dabei dachte, fuhr sie nach Hause. Den Abend verbrachte sie vor dem warmen Kohleofen, "ich besuchte das alte Wilhelmsburger Gymnasium und musste noch für eine Deutscharbeit lernen." Eigentlich eine idyllische Athmosphäre, doch der Schein sollte trügen, es war die Ruhe vor dem Sturm.
Als die Flut dann kam, waren die Eltern damit beshäfigt das Hab und Gut vor den Wassermassen zu retten. Die Familie floh in den ersten Stock und sah das Wasser ins Haus eindringen. Der Holzboden quoll auf, eine ältere Dame aus dem zweiten Obergeschoss reichte Butterkuchen. Was für die Eltern einer Katastrophe glich, war für die Mädchen ein kleines Abenteuer. "Wir fanden das beeindruckend und für uns war das ein kleines Erlebniss. Dass hing einfach mit dem Alter zusammen." Außerdem mussten die Familien des Wohnblockes aufgrund der klirrenden Februarkälte improvisieren. Um den Kohleofen am Laufen zu halten wurden alte Stühle und andere Holzteile in den Hofen geworfen. Am nächsten Mittag war das Gröbste vorüber. Manneck erzählt: "Meine Mutter hat dann den Laden wieder aufgemacht und die Leute haben sich mit Essen eingedeckt - mann wusste ja nicht wie es weitergehen würde."
In dieser Phase bewies sich Helmut Schmidt, damals Innensenator der Hansestadt, als erprobter Krisenmanager. Er koordinierte die Einsätze von Rettungsdiensten, Katastrophenschutz und Bundeswehr. Aber vorallem nutzte er seine guten Kontakte. Und davon profitierte auch Jutta Manneck. "Die Kinder sollten damals geschützt werden und wurden zu Gastfamilien geschickt", so die Rentnerin. Für Manneck ging es erst in den Schwarzwald, anschließend bekam sie einen Platz in einer Familie im französischen Bade-Ort Frejus. Sie berichtet: "Ich war einen Monat lang in Frejus, dort wurden wir toll aufgenommen und haben viel erlebt. Meine Schwester kam in die Schweiz." Als die heutige Harburgerin zurück nach Wilhelmsburg kam, ging sie wieder normal zur Schule.
So viel Glück wie die Familie von Jutta Manneck hatte nicht jeder. Insgesamt 200 Menschen haben in den Fluten ihr Leben gelassen, 1620 Menschen wurden von der Feuerwehr Hamburg aus akuter Lebensgefahr gerettet, mehr als 1800 Personen geborgen. Zahlen die das Ausmaß der Katastrophe deutlich machen. Ein Blick ins Harburger Rathaus lohnt also auf alle Fälle. Denn die Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1962 ist ein trauriges Kapitel Hamburger Stadtgeschichte. (pw)